Pierre Pichler
Viele berühmte Dirigenten haben ihre musikalische Karriere einst alsInstrumentalisten begonnen. Das birgt den Vorteil in sich, dass sie genau wissen, was ein Orchestermusiker von einem Dirigenten erwartet.
Es war schließlich der leider viel zu früh verstorbene Dirigent Guiseppe Sinopoli, der ihn in seinem Wunsch bestärkte, selbst einmal zu dirigieren. Der berühmte italienische Maestro leitete das Internationale Orchesterinstitut der Wiener
Philharmoniker, das im Großen Saal des Wiener Musikvereins konzertierte, als er Pichler schon bei den Proben zur Vierten von Brahms, wo er noch nicht einmal zwanzigjährig die Solo-Klarinette spielte, zu sich rufen ließ und ihn aufgrund seines außerordentlichen musikalischen Talents und Charismas nahe legte, die Kunst der Orchesterleitung zu studieren.
Sinopoli konnte freilich nicht wissen, dass dies durchaus Pichlers Intentionen
entsprach.
Obwohl Pierre Pichler schon als Kind genau wusste, dass er einmal Dirigent werden wollte, war er zuerst vom Tun seines Großvaters so begeistert, auch er ein Klarinettist und Kapellmeister, dass er bereits mit acht Jahren das Klarinettenspiel bei ihm erlernen wollte, worin er sich so begabt zeigte, dass er nicht nur alle einschlägigen Wettbewerbe gewann, sondern auch schon mit fünfzehn Jahren in die Klasse des Wiener Philharmonischen Solo-Klarinettisten Peter Schmidl an die Wiener Musikuniversität aufgenommen wurde. Es sollte
keine zwei Jahre dauern, und schon wurde Pichler dazu berufen, im Orchester der Wiener Staatsoper zu spielen. Dies mit so großem Erfolg, dass er neben zahlreichen Aufführungen auch schon bald bei unzähligen Konzerten und Konzertreisen bei den Wiener Philharmonikern mitwirkte (u.a. Japan und USA/Südamerika). Außerdem wurde er mit 19 Jahren eingeladen, am von Leonard Bernstein gegründeten Pacific Music Festival teilzunehmen. So war es ihm schon in jungen Jahren möglich, unter der Stabführung von den bedeutendsten Maestri (Sir Simon Rattle, Seiji Ozawa, Zubin Mehta, Mariss Jansons, Riccardo Muti, Nikolaus Harnoncourt, Pierre Boulez, Christian Thielemann, Giuseppe Sinopoli, Lorin Maazel und Christoph Eschenbach) die große Kunst des
Dirigierens unmittelbar zu beobachten.
Trotzdem blieb er vorerst seinem angestammten Instrument treu und beendete sein Studium an der Musikuniversität Wien mit einstimmiger Auszeichnung.
Neben seinen Auftritten als Solist und Kammermusiker (CD-Aufnahme The Art of Clarinet mit Peter Schmidl bei Naxos) wurde er regelmäßig von allen Wiener Orchestern und verschiedenen bedeutenden internationalen Klangkörpern (Malaysian Philharmonic Orchestra, Mahler Chamber Orchestra, Staatskapelle Dresden, HR-Sinfonieorchester Frankfurt), als Solo-Klarinettist eingeladen. Fest
engagiert war Pichler als Solo-Klarinettist an der Grazer Oper. Durch die Vermittlung des berühmten Klarinettisten Alfred Prinz trat er außerdem als Solist an der Ohio State University in Columbus und an der Indiana University in
Bloomington auf.
Im Malaysian Orchestra, wo er von 2013 bis 2015 als Solo-Klarinettist wirkte, wurde sein Engagement als kleine Sensation angesehen, galt doch die Wiener Klarinette mit deutschem System bis zu diesem Zeitpunkt durch ihre völlig andere Klangfarbe als unvereinbar mit den international gebräuchlichen Böhm-Klarinetten. Doch mit diesem Vorurteil räumte Pichler auf.
Inspiriert durch die Arbeit mit diesen großen Maestri und der Worte Sinopolis eingedenk erlernte Pierre Pichler schließlich das Handwerk des Dirigierens in mehreren Meisterkursen bei Prof. Uros Lajovic, Schüler des legendären Hans Swarowsky und beim berühmten Dirigierpädagogen Jorma Panula.
Von 2016 bis 2019 arbeitete Pierre Pichler als musikalischer Assistent von Philippe Jordan, der sein Vertrauen in ihn dahingehend unter Beweis stellte, dass er ihm bei den Proben die Leitung seines Orchesters (Wiener Symphoniker) anvertraute. Und dann kam Corona und später die Russland-Krise, die seine bereits erfolgte enge Zusammenarbeit mit dem zwar politisch umstrittenen, aber zweifellos großen Dirigenten Valery Gergiev vereitelte.
In den letzten Jahren wurden seine Verpflichtungen als Dirigent immer häufiger. Pierre Pichler leitete etwa eine Neueinstudierung von Mozarts Oper Die Zauberflöte und Le Nozze di Figaro an der Oper in Tirana. Er dirigierte das Galakonzert zu Mozarts Geburtstag im Ständetheater in Prag mit dem Orchester des Nationaltheaters Prag. 2021/22 wurde Pichler eingeladen, zahlreiche Konzerte in Kanada, Tschechien, Deutschland und Japan zu dirigieren.
In der letzten Zeit intensivierte sich die Zusammenarbeit mit Mitgliedern der Berliner Philharmoniker, wie etwa mit dem Solo-Klarinettisten Wenzel Fuchs oder dem Hornisten Andrej Zust, den er bei mehreren Konzerten mit verschiedenen Orchestern mit Richard Strauss‘ 1. Hornkonzert begleitete.
Pichlers Interessenspektrum ist breit gestreut. So fördert er auch zeitgenössische Komponisten, deren Werke er in sein Repertoire aufnimmt. Auch für die Jüngsten unter den Zuhörern setzt er sich leidenschaftlich ein, ist er doch der Meinung, dass man auch die Jugend behutsam an die Klassische Musik heranführen sollte, was im heutigen Schulsystem immer seltener geschieht. Aus diesem Grunde kreierte er im Jahre 2021 eine Konzertreihe für Kinder und Jugendliche mit seinem von ihm gegründeten Orchester Musica
Iuvenum Wien, das auf die Bedürfnisse und Möglichkeiten der kleinen Zuhörer von 4-12 Jahren zugeschnitten ist. Sei es das Musikmärchen „Peter und der Wolf“ von Sergei Prokofiev oder das Leben von W. A. Mozart, Ludwig v. Beethoven, Franz Schubert, Johannes Brahms oder Gustav Mahler, eingebettet in eine Geschichte, die der Dirigent selbst moderiert.
Pierre Pichler ist ein sehr vielseitiger Konzert- und Opern-Dirigent. Sein Repertoire ist breit gefächert. Es umfasst Werke der Wiener Klassik, der Romantik, natürlich auch die Musik der Strauß-Dynastie, der Zweiten Wiener Schule, bis hin zur zeitgenössischen Musik.
Text: Rupert Schöttle